Viele Vorgesetzte suchen stets die Harmonie. Sie wollen nur lieb und sanft sein, aber mit einem Mitarbeiter ist es oft nicht anders als mit einem Pferd. Man kann nicht immer nur sein Freund sein. Es geht nicht darum, der Mächtigere zu sein. Es geht darum, der Erwachsene zu sein. Das Pferd wird immer Dinge können, die du nicht kannst. Trotzdem wird es dich als Chef akzeptieren. Wenn es dir vertraut. Ich habe Folgendes gelernt: solange es mir nicht gelingt, bei der Bodenarbeit (auf Augenhöhe) klarzustellen, wer der Boss ist, steige ich nicht in den Sattel. Denn eines ist gewiss: dein Pferd wird immer wieder versuchen, die Grenzen neu auszuloten.
Pferde suchen keinen Freund und keine Mutter. Sie wollen einen starken Partner. Pferde werden in Hierarchien hineingeboren. Ihr Anführer ist nicht etwa der Kräftigste, sondern der Mutigste. Dein Pferd will klare Ansagen und Stärke von dir. Es gibt einen Unterschied zwischen Stärke und Härte. Ein Beispiel: Du willst, dass dein Pferd dir folgt. Dazu ziehst du an seinem Strick. Die Art, wie du ziehst, entscheidet darüber, ob du damit Erfolgt hast. Bist du schroff, kannst du dein Ziel ebenfalls erreichen, aber dein Pferd könnte es als grob empfinden. Deshalb lehnt es sich dagegen, um sich zu schützen. Machst du das mehrmals, wird sich dein Pferd ständig so verhalten. Ziehst du stärker, entsteht mehr Widerstand. Deshalb halte den Strick lieber angespannt, ohne brutal daran zu ziehen. Sobald dein Pferd nachgibt, gibst du ebenfalls nach - so bildet ihr eine Einheit. Will das Pferd nicht einlenken, wirst du warten und das Mittagessen fällt vielleicht aus. Aber wenn du deinem Pferd entgegen kommst, nachdem es nachgegeben hat, bedeutet ihm das etwas. Das Pferd folgt dir dann aus freiem Willen. Dein Pferd verzeiht dir Fehler - es misst dich nur am Gefühl, das du ihm gibst.
«I've learned that people will forget what you said, people will forget what you did, but people will never forget how you made them feel.»
Maya Angelou
Reiten ist ein Tanz. Wenn die Menschen ihr Pferd nicht mit Gefühl reiten können, gibt es ein schärferes Gebiss, rammen sie ihm die Sporen in die Schulter und binden ihm den Kopf runter. Für das Pferd ergibt das überhaupt keinen Sinn. Es lernt nur, in dieser Haltung zu bleiben, weil es eingeschüchtert ist und weitere Schmerzen vermeiden will. Doch es gibt auch andere Wege.
Dein Pferd kann nur tun, was du von ihm willst, wenn du klar bist. Wenn es nicht weiss, was du von ihm erwartest, wie kann es seinen Auftrag dann erfüllen? Ein Pferd darf Fehler machen, aber es darf sich nicht fürchten, Fehler zu machen, weil es Angst vor Repressalien hat. Du darfst streng sein, aber nicht unfair. Bestechung funktioniert nicht. Das macht dein Pferd nur respektlos und das darfst du nicht zulassen. Respekt hat nichts mit Angst zu tun, sondern mit Akzeptanz. Sei gelöst in der Art und Weise, aber fest in der Sache.
Pferde brauchen kein Mitleid. Sie brauchen eine Aufgabe. Dein Pferd soll zufrieden mit sich sein. Finde heraus, wie es sich wohlfühlt und zeig ihm die Bedeutung seiner Arbeit. Pferde arbeiten gern, aber sie wollen eine sinnvolle Aufgabe, sonst werden sie entmutigt. Vielleicht ist dein Pferd von seiner neuen Aufgabe nicht begeistert und kämpft mit einer ambivalenten Einstellung. Es möchte dir gefallen, gleichzeitig hat es aber Angst vor dem Unbekannten. Versuche nicht, es zu überzeugen, denn dann kämpfst du gegen seine Widerstände und verstärkst seine Abwehrhaltung. Das Pferd braucht ein gemeinsames Ziel. Es muss deinen Wunsch nach Fortschritt spüren. Dann wird es mit aller Kraft versuchen, dir zu helfen. Führe es auf den Weg, den es selbst auch gerne gehen würde, aber den Mut oder die Fähigkeit dazu noch nicht hat. So stimulierst du seinen Willen und gibst ihm Selbstvertrauen. Dein Pferd muss nicht begeistert sein. Sobald es anfängt zu üben, kannst du darauf vertrauen, dass es motiviert ist. Noch einmal: es geht nicht im Kontrolle, sondern um Partnerschaft. Wenn dein Pferd etwas Neues geschafft hat, dann lobe es und gönne ihm eine Pause.
Merkst du, wie fliessend die Übergänge sind? Menschenführung braucht - genau wie reiten - Achtsamkeit, Sensibilität, Mut und Vorstellungskraft.
Quelle: Buck Brannaman - der bekannte Pferdeflüsterer aus den USA